Nachts sieht man Mee(h)r

Geschrieben am 2. Februar 2020 von Alf Mayer für CrimemagCrimeMag Februar 2020

Fotobuch: Mit dem Licht zeichnen

Zweimal am Tag wird das Watt während des Hochwassers überflutet
© Günter Pump

Die Sterne über St. Peter-Ording

Alf Mayer über den Band „Nachts sieht man Mee(h)r“ von Günter Pump

Viele der Bilder, die in Günter Pumps Fotoband versammelt sind, könnte das menschliche Auge nicht so sehen. Es waren viele Abende, viele Nächte, viele Stunden, an denen er seine Kamera an einem ausgewählten Ort aufstellte, seine (lange) Belichtungszeit einstellte, es sich bequem machte oder gar in seinem Wohnmobil zum Schlafen ging, und dann am Morgen nachschaute, was seine Kamera da eingefangen und festgehalten hatte.

Der Satz „Zwölf gute Fotos in einem Jahr sind eine gute Ausbeute“ stammt vom großen Ansel Adams. Günter Pump könnte ihn unterschreiben. „Das war oft Blindflug“, sagt er. Die Ergebnisse seiner vielen Nachtstunden hat er nun in dem mit 14,95 Euro sehr erschwinglichen Band Nachts sieht man Mee(h)r versammelt. Viele vergebliche Mühen, viele Versuche und zuletzt auch die Aufregung in der Buchbinderei (Bogen verkehrt eingehängt und dann Neudruck) sind Geschichte. Jetzt gibt es das Buch.

Der Leuchtturm in Kiel steht vier Seemeilen von der Küste entfernt mitten in der Bucht. Rechts das Marine-Ehrenmal in Laboe mit der Lichtinstallation.
© Günter Pump

Und was für eines. „Photographie“ bedeutet ursprünglich „Zeichnen mit Licht“. Auf den Bildern von Günter Pump kann man das sehen. Er hat die deutsche Nordseeküste entlang fotografiert: die auslaufenden Wellen im Mondlicht vor Langeneß, der größten Hallig im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, den Blick vom Deich im Rickelbüller Koog auf die Insel Sylt, die Leuchttürme auf den Dünen in Listland und dem Hafen List dabei auch zu sehen. Wahrscheinlich gibt es an der ganzen Waterkant keinen, der wie Günter Pump, all die nächtlichen Leucht- und Lichtquellen und Lichtverhältnisse kennt und seine Versuche damit gemacht hat.
Seien es die nächtliche Ruhe am Wittdüner Hafen, der Mondaufgang über Langeneß, der kleinste Leuchtturm der Nordsee auf der Hallig Oland, der kleinste Sielhafen Schlüttsiel, der Husumer Hafen, der Purrenstrom in der Eidermündung, die Insel Pellworm, die Unterelbe bei Brunsbüttel, die Sterne über den Dünen von St. Peter-Ording oder ein Abstecher nach Rügenzum neuen Leuchttirm Arkona. Die Reichweite der Lichtbogenlampe des Westerhever Leuchttums beträgt bei guter Sicht an die 50 Kilometer, weiß er, und auch, von wo aus die Industrieanlagen an der Elbe am schönsten den Himmel erhellen. Gar nicht so einfach aufs Bild zu bannen waren die über 1000 Lampen der Beleuchtung beider Ufer des Nord-Ostsee-Kanals, der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt, oder das dem Polarlicht ähnliche Restlicht auf der Insel Pellworm.

Der Westhever-Leuchtturm
© Günter Pump

Insgesamt 88 Fotomotive enthält das Buch. Die Bildlegenden befinden sich am Buchende, sind noch einmal eine eigene kleine Reise. Dazwischen ist Meditation. Ist Staunen.

Heute werden Fotos vornehmlich mit ultrakurzen Belichtungszeiten geschossen, die Langzeitfotografie ist hingegen eine alte Technik. Die erste als Fotografie zu bezeichnende Abbildung stammt von Joseph Nicéphore Niépce (1765 – 1833). Weil er bald nach seiner Erfindung starb, ernte sein Partner Louis Daguerre den Ruhm, aber er es war es, der 1826 eine Asphaltplatte mit lichtempfindlichen Substanzen versah, sie in eine Camera obscura montierte und damit die Aussicht aus einem Fenster festhielt, 13 Jahre vor dem Verfahren von Daguerre. Die Belichtungszeit für das so genannte erste Foto der Welt betrug acht Stunden. Niépce nannte es Heliografie, von helios: mit der Sonne, und graphein: mit dem Sonnenlicht gezeichnet.

Günter Pump „malt“ mit dem Restlicht der Nacht. Seine Lichtquellen sind Leuchttürme, Positionslampen der Schiffe, Fahrwassertonnen und Mond und Sterne. Sein Rezept: Man muss „nur“ dem Licht Zeit lassen, ein einzelnes Bild zu „zeichnen“.

Roland Schärer und Günter Pump (rechts) mit einem Dummy auf der Frankfurter Buchmesse 2019

Das Buch, zu dem sein Schöpfer auch von einem Verleger weit weg vom Meer ermuntert wurde – von Roland Schärer vom Berner Cosmos Verlag – ist dem Fotografen ein Herzensanliegen, ein Lieblingsprojekt. Bei seiner eindrucksvollen Werkliste will das etwas heißen. Pump, 1941 in Ulm geboren, kam als Kind nach Schleswig-Holstein und lebt seitdem in Dithmarschen. Er lernte zunächst Schriftsetzer, sattelte später um und machte sich als Fotograf mit zahlreichen Bildbänden, Kalendern und Kochbüchern einen Namen. Seine Werkliste umfasst über 200 Titel.